AEL Reichenau: KZ-Gedenkstätte Dachau
Shownotes
Für die heutige Folge ging es in den benachbarten Freistaat Bayern – genauer gesagt nach Dachau. In der KZ-Gedenkstätte Dachau haben wir uns mit der Leiterin, Gabriele Hammermann, zu einem Gespräch getroffen. Zu Beginn sprechen wir über Ihre Verbindung zu Innsbruck und der Entscheidung über die Errichtung eines neuen Gedenkortes in der Reichenau. Anschließend gehen wir auf verschiedene Aspekte der KZ-Gedenkstätte Dachau ein und versuchen dabei auch Parallelen zum Arbeitserziehungslager Reichenau aufzuzeigen.
Rückmeldungen, Wünsche oder Anregungen zu den einzelnen Folgen können Sie gerne per E-Mail an podcast@innsbruck.gv.at schicken.
Alle Infos für einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau entnehmen Sie bitte der Website der Gedenkstätte.
Das Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck finden Sie im Web unter diesem Link.
Wollen Sie von zu Hause oder unterwegs eine Entdeckungsreise durch Innsbruck machen, dann sollten Sie unseren Bilder-Blog Innsbruck erinnert sich besuchen, wo täglich vier neue Beiträge veröffentlicht werden. Es lohnt sich!
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00:00:00: Tobias: Hallo und herzlich willkommen zur fünften Folge unserer dritten Staffel von Archivwürdig,
00:00:05: dem Podcast des Innsbruck Stadtarchivs. Für unsere heutige Folge geht es in den
00:00:11: benachbarten Freistaat Bayern, genauer gesagt nach Dachau. In der KZ Gedenkstätte Dachau habe
00:00:19: ich mich mit der Leiterin Gabriele Hammermann zu einem Gespräch getroffen. Zu Beginn sprechen wir
00:00:25: über ihre Verbindungen zu Innsbruck und der Entscheidung über die Errichtung eines neuen
00:00:30: Gedenkortes in der Reichenau. Anschließend gehen wir auf verschiedene Aspekte der KZ Gedenkstätte
00:00:36: Dachau ein und versuchen dabei auch parallelen zum Arbeitserziehungslager Reichenau zu identifizieren.
00:00:42: Intor-Musik] Tobias: Liebe Gabriele, danke für die Einladung, erstens einmal in die KZ Gedenkstätte in Dachau.
00:01:04: Ist auch mein erster Besuch heute. Wir zeichnen hier auf und bei dir auf, da du ja eine Verbindung zu dem Arbeitserziehungslager Reichenau
00:01:17: hast bzw. du bist Mitglied der Expert:innenkommission. Vielleicht dazu auch wäre es schön, wenn du uns
00:01:26: vielleicht kurz erklären könntest, wie es denn zu dieser Teilnahme an dieser Historikerkommission,
00:01:31: Expert:innenkommission gekommen ist. Gabriele: Ja, ich habe die Einladung bekommen von Lukas Morscher,
00:01:41: der Leiter vom Stadtarchiv und Irene Heisz und es hat mich sehr, sehr gefreut, weil es eben sehr
00:01:49: viele Bereiche betroffen hat, die jetzt in dem ehemaligen Arbeitserziehungslager Reichenau
00:01:57: relevant sind, die für uns hier in der Gedenkstätte auch eine zentrale Rolle spielen und in meinen
00:02:04: Forschungen zur Zwangsarbeit, aber auch zum Konzentrationslagersystem immer relevant waren.
00:02:12: Und die vielen Anknüpfungspunkte haben mich sehr gefreut und auch wirklich die tolle und
00:02:22: kollegiale Zusammenarbeit in dieser Kommission. Ich denke, das hat auch dazu geführt, dass wir
00:02:29: wirklich in sehr schneller Zeit und in großen Schritten sozusagen auf das Ziel zugekommen sind.
00:02:37: Häufig erlebe ich das so, dass diese Diskussionsprozesse deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.
00:02:47: Und insofern ist das so meine Verbindung zu Innsbruck, eine Stadt, die ich wirklich auch unglaublich
00:02:55: schön finde. Tobias: Ich wollte gerade sagen, es waren ja auch schon Besuche natürlich in Innsbruck
00:03:00: dementsprechend dabei und vice versa, es waren ja auch ein Ausflug der Kommission nach Dachau,
00:03:05: wenn ich da richtig informiert bin. Gabriele: Ja, vor wenigen Wochen waren alle hier und haben sich die
00:03:12: KZ Gedenkstätte angeschaut, aber auch die Außenorte hier in der Nähe der Gedenkstätte,
00:03:19: da gab es beispielsweise, einen ehemaligen Schießplatz, an dem über 4.000 sowjetische
00:03:28: Kriegsgefangene hingerichtet worden sind, den wir 2014 zu einem Gedenkort umgewandelt haben
00:03:36: mit einer Außenausstellung und einem Ort der Namen. Und das war, weil es das Thema
00:03:42: Außenausstellung betraf eben auch für viele der Delegation von Relevanz.
00:03:48: Tobias: Darf ich vielleicht auch noch Ihre Gedanken zu der oder Ihre Haltung oder Meinung zu dem
00:03:56: Plan einer neuen Errichtung der Gedenkstätte oder eines zeitgemäßen Erinnerungsortes
00:04:03: am Gelände des ehemaligen Arbeitserziehungslagers einfangen?
00:04:08: Gabriele: Ja, ich glaube, dass dieses Lager und die Nachwirkungen des Lagers für die Stadt
00:04:14: Innsbruck wirklich von großer Bedeutung sind. Das geht ja im Wesentlichen von 1941 bis 1945
00:04:24: um die Geschichte des Arbeitserziehungslagers Reichenau. Da sind wir wirklich bei ganz vielen
00:04:30: spannenden politischen Diskussionen, auch Diskussionen inwieweit sich beispielsweise
00:04:37: unternehmen mit dem Nationalsozialismus arrangierten bzw. auch die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
00:04:48: für ihre Produktion ausnutzen. Das ist ein sehr, sehr zentrales Thema, weil das Arbeitserziehungslager
00:04:56: Reichenau wurde ja von der Gestapo geführt und die Firmen hatten eine Art Vorschlagsrecht
00:05:03: und das finde ich schon sehr, sehr zentral, wie viele Firmen letztendlich in dieses System
00:05:11: involviert waren. Und es gab ja auch Nutzungen als Kriegsgefangenenlager und als Lager der Reichspost
00:05:19: und der Bahn. Und auch da sind wir eben nicht nur an dem Ort in Reichenau, sondern eben im Umfeld
00:05:27: der Stadt Innsbruck bei mindestens 40 Zweiglagern und das zeigt, wie eng sozusagen Zwangsarbeit
00:05:37: gerade in der Kriegsphase mit dem Nationalsozialismus aber auch mit der deutschen Gesellschaft verwoben
00:05:44: war. Tobias: Das ehemalige Konzentrationslager Dachau und das Arbeitserziehungslager Reichenau
00:05:49: kann man nicht eins zu eins vergleichen. Es gibt, würde ich aber sagen, Parallelen, die für beide
00:05:55: Lager zutreffend sind, natürlich nicht in Größe und so weiter und auch von der Nutzung. Also es gibt
00:06:01: natürlich auch sehr viele Unterschiede, gerade aber auch, weil ich, wie im Vorfeld informiert habe,
00:06:07: ja auch gerade, was dann die direkte Nachnutzung eigentlich des Lagers betrifft. Weil wir haben
00:06:12: ja in der Reichenau oder die ehemaligen Lager in der Reichenau direkt nach dem Krieg auch
00:06:20: ein Auffangslager für DPs, also "displaced persons" [Person, die nicht an diesem Ort beheimatet ist], dann natürlich auch für die
00:06:27: NS-Funktionäre, also als Lager, also Gefangenenlager sozusagen, wobei dann die weitere
00:06:34: Nachnutzung in Innsbruck ja noch viel länger andauerte als wie jetzt in Dachau, können Sie vielleicht
00:06:40: auch dazu etwas sagen, wie Sie den Vergleich sehen oder Parallelen sehen zum Lager Reichenau
00:06:47: und zum Lager Dachau. Gabriele: Es ist ja so, wenn wir nochmal auf die Geschichte zwischen 1941 und 1945 zurück
00:06:55: schauen, dass es auch ein Transitlager, die Reichenau eben oder ein Transitlager war für Jüdinnen und
00:07:03: Juden in die Konzentrationslager Mauthausen und aber auch nach Auschwitz und das ist ein Aspekt,
00:07:11: der in der Geschichte des Konzentrationslagers Dachau erst am Ende und erst im Kontext der
00:07:18: Außenlager stattfindet. Auch da sind es, gab es große Transporte von den Außenlagern, vor allen
00:07:26: Dingen denen, die zu der sogenannten Bunkerprojekte, das sind Projekte, die geplant worden
00:07:36: sind, um die Produktion von Flugzeugen unter Tage zu verlagern. Es gab in Dachau drei Bereiche,
00:07:45: das ist das ehemalige BMW Außenlager in Allach. Dort gab es eben auch ein Bunkerbauprojekt
00:07:53: in Mühldorf in dem Komplex und in Kaufering. Überwiegend jüdische Häftlinge haben dort gearbeitet
00:08:01: und auch dort gab es diese Transporte vor allen Dingen von kranken und ausgemergelten Menschen,
00:08:07: die nicht weiter ausgepresst werden konnten im Kontext dieses Arbeitsprozesses, die wurden dann eben
00:08:14: auch nach Auschwitz verlagert. Geplant war die Reichenau auch im Kontext eines Auffanglagers für
00:08:25: geflohene italienische Arbeitskräfte. Auch da gibt es einen Kontext sozusagen mit meinen Forschungen.
00:08:33: Ich habe zu den italienischen Militärinternierten gearbeitet und mich natürlich da auch zu dem
00:08:40: Thema der Zwangsarbeit ab 1938, 1939 aus Italien beschäftigt. Genau, das war auch ein Thema und
00:08:49: dann können wir natürlich jetzt gerne auch den Vergleich ziehen zu dem Thema der Nachnutzung des
00:08:57: Konzentrationslagers Dachau, das zunächst wenige Monate als "displayed persons camp" geführt worden
00:09:05: ist. Ab August 1945 bis drei Jahre später etwa als Internierungslager für Nationalsozialisten
00:09:15: und dann als Flüchtlingslager vor allen Dingen für geflüchtete Deutsche aus dem aus den ehemaligen
00:09:24: Ostdeutschland, die dann hier nach Dachau kamen und keine, keinen Wohnraum hatten und
00:09:34: auch in prekären Bedingungen lebten. Auch am Rande der Stadt ähnlich wie in der Reichenau
00:09:42: und Schwierigkeiten hatten sich in der Gesellschaft zu etablieren, auch weil es da doch eine große
00:09:50: Ablehnung gab gegenüber den Zugewanderten sozusagen. Tobias: Dann ist ja dann für das Arbeits-
00:09:59: erziehungslager Reichenau, da ist ja dann salopp gesagt, alles platt gemacht worden,
00:10:05: alles abgetragen worden. Dasselbe Schicksal hat zum Glück ja auch das Lager hier in Dachau nicht
00:10:12: ereilt. Es ist relativ früh schon, könnte man sagen, ja zu einer Gedenkstätte umfunktioniert
00:10:21: worden. Können wir vielleicht ein bisschen darauf eingehen über die Entstehung der Gedenkstätte?
00:10:27: Gabriele: Dieser Prozess war ein langer. 1955 haben sich die ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslager
00:10:34: Dachau auf einer internationalen Ebene zusammengeschlossen zum Internationalen Dachau Komitee
00:10:42: und man hat sich vorgenommen hier an diesem Ort, der aus der Sicht der ehemaligen Häftlinge völlig
00:10:50: unwürdig genutzt worden ist. Da können wir gleich noch darauf eingehen, diesen Ort zu einer
00:10:57: Gedenkstätte zu machen. Aber dieser Prozess hat lange gedauert, also zehn Jahre bis 1965 im Mai
00:11:06: eine Gedenkstätte errichtet werden konnte und es hat tatsächlich eine internationale Öffentlichkeit
00:11:13: gebraucht und das moralische Korrektiv, die moralische Bedeutung der ehemaligen Häftlinge des
00:11:22: Konzentrationslagers Dachau, das hier an diesem Ort eine Gedenkstätte entstanden ist. In der
00:11:30: unmittelbaren Nachkriegszeit gab es beispielsweise von dem hiesigen Landrat den Vorschlag des ehemaligen
00:11:37: Krematoriums und das war in dieser Zeit der einzige Gedenkort hier auf dem Gelände des ehemaligen
00:11:44: Häftlingslagers, dass dieses Krematorium abgerissen werden sollte und nur durch internationale
00:11:53: Initiativen ist dieses verhindert worden. Also daran sieht man, die deutsche Gesellschaft hat diesen
00:12:01: Ort normalisieren, überschreiben wollen, umnutzen wollen, sodass praktisch die Erinnerung an das,
00:12:09: was hier passiert ist, vollständig verloren geht. Tobias: Auch ein Prozess, der in Österreich
00:12:14: klar durchwirkt, natürlich mit einer anderen Prämisse als diese Opfer-These, die ja immer sehr
00:12:21: gerne vorhergehalten wurde, um eben diese dunkle Zeit auch einmal vorerst ruhen zu lassen und
00:12:30: dann natürlich in Österreich erst viel später ja die Aufarbeitung auch war, wie in Deutschland,
00:12:34: wo sie ja, würde ich so sagen, 20 Jahre früher schon eingesetzt hat, die Auseinandersetzung.
00:12:41: Ich weiß nicht, ob Sie das bestätigen oder so sagen können, immer ist es sehr pauschaliert,
00:12:46: natürlich ausgedrückt aber... Gabriele: Ich glaube, ganz viel hat auch dazu beigetragen, dass es eine
00:12:52: justizielle Ahndung der Verbrechen relativ bald nach Kriegsende gab, durch die Amerikaner auf der
00:12:59: einen Seite, durch den Nürnberger Prozess, aber ich habe ja hingewiesen auf das Internierungslager,
00:13:05: das drei Jahre Bestand nach Kriegsende und das ist im Kontext der sogenannten Dachauer Prozesse
00:13:13: hier auch etabliert worden. Man hat praktisch die Verbrecher, die hier vor Ort waren, durchgekämmt
00:13:21: und es gab große Ermittlungsverfahren, sehr zahlreiche Ermittlungsverfahren und auch Prozesse
00:13:28: gegen die SS im Konzentrationslager Dachau, das war der sogenannte "Parent Case" und dann aber auch
00:13:37: gegenüber der SS in Mauthausen, Flossenbürg in Buchenwald und in Mittelbau-Dora. Also sie sehen
00:13:47: ein sehr, sehr gewichtiger Aspekt der justiziellen Ahndung der unmittelbaren Nachkriegszeit und dadurch
00:13:56: haben natürlich viele aus der Bevölkerung erfahren, was hier vor Ort an Verbrechen stattgefunden
00:14:02: haben und sie konnten nicht mehr so einfach sagen, da war nichts, davon haben wir nichts gewusst,
00:14:09: weil das war tatsächlich ein ganz wichtiges gesellschaftliches Ereignis. Tobias: Und ich habe
00:14:16: bisher nur, also was heißt nur, aber die Gedenkstätte in Mauthausen eben zwei mal schon besucht,
00:14:23: einmal auch dann den Gedenkort Hartheim, also Schloss Hartheim und auch in Mauthausen, es
00:14:30: ist ja auch bei einer Führung zum Beispiel in Mauthausen sehr deutlich gemacht, da oben ist
00:14:34: nebenbei der Fußballplatz gewesen und da haben auch die Wachtruppen der SS, haben ein Match
00:14:39: gespielt gegen unten, den Fußballclub vor Ort, also da ist dann schon, und wenn man dann da oben
00:14:45: steht und sieht, wie nahe das ist, ist das schon eigentlich sehr erschreckend, dasss dann wirklich auch
00:14:49: viele aus oder so viele sagen, wusste man nicht, zum Teil ja, aber größtenteils eigentlich kann es
00:14:57: nicht so. Gabriele: Es ist undenkbar, weil gerade gegen Ende des Krieges, und wir haben ja auch schon im Bereich
00:15:04: der Reichenau davon gesprochen, wie groß dieses Netz der Verfolgung war, da gab es ja, wir haben
00:15:11: eben über die Zwangsarbeiterlager gesprochen, über Arbeitserziehungslager, die flächendeckend
00:15:19: in Deutschland existierten oder im deutschen Reich existierten und die lokale Bevölkerung hat
00:15:26: natürlich auch mitbekommen, wenn in den Konzentrationslagern die Märsche durch die Städte
00:15:31: gingen, also vom Bahnhof zum Lager, also und gerade gegen Ende des Krieges gab es Todesmärsche,
00:15:42: es gab praktisch dieses System der Außenlager, der Konzentrationslager, das Dachauer Lager
00:15:48: hat 140 Außenlager im Bereich Oberbayern vor allen Dingen, aber auch Richtung Österreich und das ist
00:15:57: natürlich ein Thema der ständigen Begegnung mit den Verbrechen. Tobias: Der Gedenkort hier in Dachau
00:16:07: besteht nun doch schon sehr lange Zeit, würde ich sagen, die Wissensvermittlung hat sich ja im
00:16:13: Laufwetterzeit auch stark verändert. Die Hauptausstellung ist seit 2002/2003, glaube ich,
00:16:23: ich glaube, seit 2003 steht drin. Wir sehen oder...
00:16:27: Vielleicht darf ich ganz generell fragen zu Wissensvermittlungen auch hier in Dachau.
00:16:33: Wie Sie denn die Entwicklung der Vermittlungskonzeption oder des Vermittlungsortes auch in Dachau hier sehen?
00:16:42: Gabriele: Am Anfang waren es auch ehemalige Häftlinge, die auch in dem ehemaligen Häftlingslager hier,
00:16:50: das ist nämlich der Teil der Gedenkstätte, Führungen, Rundgänge gegeben haben mit ihrer Geschichte,
00:16:57: häufig waren es politische Häftlinge, häufig aus dem kommunistischen Widerstand, also viele
00:17:05: waren von ihnen waren schon 1933 inhaftiert und haben eben über langjährige Erfahrungen gesprochen,
00:17:15: auch Verfolgung ihrer Familien und das war eine ganz, ganz wesentliche und wichtige Zeit,
00:17:22: die Abteilung der Gedenkstätte, also die Bildungsabteilung ist erst um die Jahrtausendwende etabliert worden.
00:17:32: Lange Jahre gab es hier vor Ort praktisch die Rundgänge über abgeordnete Lehrkräfte und es haben sich auch
00:17:43: verschiedene sehr engagierte Geschichtsvereine gebildet im Umkreis, die dieses Vakuum sozusagen der Betreuung
00:17:54: in der KZ Gedenkstätte mit übernommen haben. Das war lange so, dass sich der Staat, also nicht so sehr
00:18:05: um dieses Thema gekümmert hat, das ist erst so in den 80er Jahren zunehmend zu einem Thema geworden,
00:18:13: aber tatsächlich oft ausgehend von dem zivilgesellschaftlichen Engagement. Und wie gesagt,
00:18:20: ab der Jahrtausendwende eine Bildungsabteilung, wir haben natürlich auch versucht,
00:18:27: praktisch dieses Fund sozusagen dieser zivilgesellschaftlichen Initiative zu integrieren
00:18:36: mit den Rundgangsleitungen, die wir hier auf dem Gelände haben. Inzwischen sind es 70 und es gibt hier tatsächlich
00:18:46: einen halbjährigen Ausbildungskurs, der sehr begehrt ist sozusagen. Wir sind jetzt auch dabei,
00:18:53: laufend Referentinnen und Referenten nachzuschulen und es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass diese
00:19:04: Rundgangsreferent:innen auch Teil der Gedenkstätte sind, also die sind eben auch feste Mitarbeitende der Gedenkstätte geworden.
00:19:13: Also das ist ein langer Prozess, das sehen Sie und wenn man sich so auf die Inhalte noch mal fokussiert,
00:19:21: dann ist es seit dem Beutelsbacher Konsens in den Gedenkstätten üblich, nicht mit moralischen
00:19:32: Überformungen zu kommen, sondern ein forschendes, offenes Lernen hier an diesem Ort zu..., ja
00:19:39: dazu anzuregen, das ist ganz, ganz wichtig. Wir wollen eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle
00:19:50: auch von Täterschaft, also und der Gesellschaft und natürlich einer starken Biographiearbeit über die
00:20:00: ehemaligen Inhaftierten hier, sodass es praktisch, dass zunehmend neue Gebiete jetzt auch in unsere Arbeit
00:20:11: mitschwingt sozusagen. Wir merken allerdings, dass die Vor- und Nachbereitung viel größere Zeit in Anspruch nimmt,
00:20:22: als das in früheren Jahren, wo vielleicht im Schulunterricht noch mehr darauf eingegangen worden ist,
00:20:30: wo es aber auch nicht so einen großen generationellen Abstand gab. Also tatsächlich ist das sehr notwendig,
00:20:41: auch eine Reflektion nachzuschalten und deswegen bauen wir gerade auch unser Bildungszentrum neu mit
00:20:51: sechs neuen Seminarräumen, die eben technisch auf dem allerneuesten Stand sein werden und auf diese
00:21:00: Arbeit dieser Neugestaltung freuen wir uns sehr. Es besteht immer der Wunsch, dass die Gedenkstätten
00:21:09: zu den aktuellen politischen Situationen sich positionieren, auch in der Bildungsarbeit und da
00:21:21: denken wir aber, dass es sehr, sehr wichtig ist, über die Beschäftigung mit dem Ort sozusagen zu solchen
00:21:28: Fragen zu kommen und das nicht also aktiv anzustoßen, sondern die Schülerinnen und Schüler zu Fragen
00:21:36: kommen, zu lassen, zu Schlüssen, die sie aus dem Rundgang gezogen haben. Das könnte man so sagen.
00:21:43: Wichtig ist natürlich auch, dass die Diversität der Besucher:innenschaft sich sehr, sehr verändert
00:21:52: hat. Wir sind in einer Einwanderungsgesellschaft, in einer Migrationsgesellschaft und das braucht
00:21:58: natürlich auch aktualisierte Bildungsangebote und auch da ist das Thema Vorbereitung, Nachbereitung
00:22:07: ganz zentral. Und da sind wir bei der Beschäftigung mit beispielsweise "Graphic Novels" [grafischer Roman]. Wir sind gerade
00:22:16: dabei, eine Graphic Novel zu etablieren, die praktisch den Einlieferungsprozess zum Thema hat und
00:22:25: diese kurze Zeit, wie die Menschen hier von einem Individuum zur Nummer wurden. Und das hat ein
00:22:35: ehemaliger Häftling Edgar Kupfer-Koberwitz auf eine wirklich unglaublich intensive Art und Weise
00:22:42: beschrieben und anhand seiner Beschreibung haben wir mit einem Büro eine Graphic Novel, einen Film
00:22:51: auch entwickeln lassen, der jetzt bald vorgestellt wird und wo wir glauben, dass es einfach noch mal
00:22:59: einen ganz anderen Zugang gibt. Ausgehend war das, also wir haben uns angefangen mit dem Thema Comic
00:23:07: zum Beispiel oder Graphic Novel zu beschäftigen, durch auch intensive Kontakte zu unseren jungen
00:23:15: Mitarbeitenden. Das sind, also wir haben natürlich viele vom FSJ-ler oder in früheren Jahren waren
00:23:23: es auch sogenannte Gedenkdiener. Das war eine Initiative aus Österreich. Tobias: Ich sollte villeicht kurz dazu sagen, das ist ein freiwilliges
00:23:30: soziales Jahr. Also in Deutschland, in Österreich ist es ja wäre, dass ähnlich zu setzen wie mit
00:23:35: dem Zivildienst, sozusagen nur, damit wir unsere Zuhörer einfangen sozusagen. Gabriele: Und wir haben in den
00:23:45: Kontakten auch mit unseren jungen Mitarbeitenden gemerkt, was wir vielleicht neu entwickeln können und
00:23:52: da sind wir jetzt sehr froh. Das war ein spannender, intensiver Prozess und das wir das jetzt präsentieren können.
00:24:02: Tobias: Sehr schön. Es ist ja bei der Gedenkstätte, also zum Gedenkort ist auch ein Archiv und eine Bibliothek
00:24:12: oder es ist Teil der Gedenkstätte, ein Archiv und eine Bibliothek. Gabriele: Und eine große Sammlung. Tobias: Und eine
00:24:17: große Sammlung eben. Ist das aus Ihrer Sicht, also einerseits würde ich gern fragen, wie da das
00:24:23: Zusammenspiel ist zwischen den einzelnen, ich würde es jetzt Abteilungen nennen und ob Sie das als großen
00:24:30: Bonus sehen und wo da auch vielleicht Schwierigkeiten sind, um das Ganze unter einen Hut zu bringen.
00:24:36: Gabriele: Wir sitzen ja hier sehr eng zusammen. Also die verschiedenen Abteilungen sind nicht in
00:24:44: verschiedenen Gebäuden oder so, sondern wir haben das ganz bewusst. Wir sitzen hier im Ostflügel des
00:24:51: ehemaligen Wirtschaftsgebäudes, also mitten in dem ehemaligen Gelände des früheren Häftlingslagers,
00:25:00: was auch ein besonderer Arbeitsort ist, aber nur für unsere Zuhörer:innen die Frage, wo wir hier sitzen.
00:25:13: Und das haben wir wie gesagt ganz bewusst gemacht. Wir haben diesen Bereich auch gestaltet, und zwar
00:25:20: in Absprache mit dem Denkmalpflegeamt, sodass praktisch die historische Struktur dieses
00:25:26: Gebäudes auch weiterhin erhalten bleibt und in dem Zuge haben wir eben auch Archiv, Bibliothek,
00:25:32: Sammlung neu aufgestellt. Das ist jetzt zehn Jahre her und wir haben einen sehr, sehr engen Kontakt
00:25:40: mit den Überlebenden und den Nachkommen. Das heißt, unsere Sammlung ist in der Zwischenzeit enorm
00:25:47: gewachsen. Es gab archäologische Grabungen in dem eben erwähnten Außenlager in Allach. Da sind
00:25:56: tausend Objekte zu der KZ Gedenkstätte gekommen und ein ganz neues spannendes Feld hat sich aufgemacht.
00:26:03: Wir haben dazu eine Ausstellung angeboten und planen jetzt auch bei der Neugestaltung historische
00:26:12: Gebäude zu der Gedenkstätte hinzuzunehmen. Eines davon ist das ehemalige Transformatorenhaus,
00:26:18: das für die Elektrizität im Lager zuständig war, also Lagerzaun, Lautsprecher und so weiter. Tobias: Scheinwerfer.
00:26:24: Gabriele: Viele Elemente des Terrors. Das wird der Ort sein, in dem zukünftig die Sammlung der Gedenkstätte
00:26:31: unterkommt und wir sind eben auch im Bereich von Archiv und Bibliothek dabei im Zuge der Neugestaltung
00:26:40: den Bereich deutlich zu erweitern. Ganz spannend ist eben die Zusammenarbeit, weil die Bildungsabteilung
00:26:48: in unmittelbarer Nähe sitzt. Die wissenschaftliche Abteilung, das ist der zweite Zweig sozusagen,
00:26:56: sitzt auch in der Nähe, sodass praktisch Ausstellungen geplant werden können, aber auch
00:27:04: beispielsweise Medien-Apps, die wir hier anbieten zum Thema Kunst im Konzentrationslager. Also das
00:27:12: ist es eben sehr, sehr wichtig, die kurzen Wege zu haben. Die Schwierigkeiten, die Sie angesprochen
00:27:19: haben, ich finde, dass es häufig Schwierigkeiten auch von außen sind, weil zum Beispiel überlegen
00:27:27: wir uns, was macht man heute? Man hat einen Plan und der Plan, den kann man eigentlich nach
00:27:33: wenigen Minuten vergessen [schmunzelt], weil irgendwas passiert. Zum Beispiel, was uns sehr freut eben auch viele
00:27:41: Angehörige in das Archiv kommen, um zu forschen. Die sind hier im Rahmen eines Besuches da und
00:27:51: natürlich nimmt man sich dafür Zeit, weil das ist jetzt auch ein ganz zentraler Umbruch, den wir
00:27:57: gerade haben und auch der Kontakt zu den Nachkommen ist für uns ganz, ganz wesentlich. Tobias: Weil sie eben
00:28:03: gerade den Kontakt mit den Nachkommen angesprochen haben, das stelle ich mir auch eben sehr spannend vor
00:28:09: und interessant vor, kommt da auch dann wirklich in dieser Nachforschung dann wieder auch für sie
00:28:14: neue Sachen ans Tageslicht, weil die vielleicht eben noch, sei es Andenken, vielleicht also von
00:28:22: Überlebenden auch wieder bekommen, ist das so auch ein Anknüpfungspunkt, wo dann wieder ein offener
00:28:30: Kanal von Kommunikation dann entsteht über den Besuch hinaus und was gibt es denn da so ein bisschen
00:28:38: für Beispiele? Gabriele: Wir haben mehrere Veranstaltungsformate. Das eine heißt Erinnerung- und Familiengedächtnis
00:28:45: und da geht es praktisch so darum, was hat praktisch die KZ-Haft generationell auch mit den
00:28:53: Familien angerichtet. Das sind immer sehr, sehr bewegende Gespräche. Wir haben noch ein zweites
00:29:01: Format, das heißt Mehrgenerationengespräch. Da versuchen wir tatsächlich nicht nur die Kinder,
00:29:09: sondern auch Enkel, zum Teil Urenkel hier nach Dachau zu bringen und es ist sehr interessant,
00:29:16: weil sich die unterschiedlichen Generationen jeweils unterschiedlich in der Familie mit dem
00:29:23: Thema befassen. Häufig ist es so, dass die Kinder häufig nichts wussten von dem Verbrechen hier an
00:29:31: dem Ort, was mit ihren Vätern passiert ist und es gab eine größere Offenheit der früheren Häftlinge
00:29:39: sich mit den Enkeln auszutauschen oder den Urenkeln, die wiederum ganz andere Verarbeitungsmechanismen
00:29:47: haben. Häufig haben wir tatsächlich die Beschäftigung mit Kunst, mit Medienkunst, mit unterschiedlichen
00:29:57: Aspekten von Kunst, die mit der Haft des Verwandten zu tun haben. Tobias: Gibt es auch manchmal Erkenntnisse
00:30:09: auch der Besucher, wenn eben die Person oder der Vorfahre hier ums Leben kam oder eben, weil
00:30:18: er von hier aus weiter deportiert worden ist, dass man hier die Besucher dann darauf kommen,
00:30:23: okay, hier ist mein Angehöriger in Haft gewesen und man hat es aber vorher nicht genau
00:30:29: gewusst. Es ist sowas auch schon öfters vorgekommen. Gabriele: Das ist das, was ich gerade berichtet habe, wo wir
00:30:36: uns natürlich Zeit nehmen, weil das ein ganz emotionaler Prozess ist. Wenn wir hier im Archiv in
00:30:43: unserer Datenbank, die über 200.000 Datensätze der ehemaligen Häftlinge, so viel waren in der Zeit
00:30:51: zwischen 1933 und 1945 hier in Dachau, wenn wir feststellen, der Großvater, der Onkel, der Vater war hier,
00:30:59: war hier in Dachau. Es gab auch mehrere sehr bewegende Einladungen von Nachkommen, der etwa
00:31:11: 4.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Hebertshausen bei Dachau ermordet worden sind
00:31:18: von der Dachauer SS. Und da war es wirklich so, diese Nachkommen von den Opfern wussten nichts
00:31:28: und es gibt so eine Art von Internetforen, wo sie gesucht haben und nie aufgehört haben zu suchen.
00:31:36: Und unsere Forschungen, die haben wir dann sozusagen in Zeitungen veröffentlicht, aber auch in diesen
00:31:44: Foren in der ehemaligen Sowjetunion und aufgrund dessen haben sich Menschen gemeldet, die haben
00:31:52: uns dann auch ihre Fotoalben gezeigt und wir haben entsprechende Biographien mit den Fotoalben,
00:31:59: also mit der Geschichte der Ermordeten zeigen können und das waren nochmal, also da gab es
00:32:06: wirklich keine Ahnung, wo die Menschen geblieben sind, wo die sowjetischen Kriegsgefangenen
00:32:11: geblieben sind und das an den Ort zu kommen mit der Gruppe, 20 Menschen waren wir, glaube ich,
00:32:19: 20 Delegationen von 20 Nachkommen, das gehört zu den bewegendsten Erlebnissen, die ich hier an dem Ort hatte. [Outro-Musik]
00:32:47: Tobias: Archivwürdig ist eine Produktion des Stadtarchiv Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck.
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