AEL Reichenau: Archäologische Forschung
Shownotes
In dieser Folge blicken wir auf das ehemalige Arbeitserziehungslager Reichenau aus archäologischer Sicht. Dazu sprechen wir mit der Archäologin Barbara Hausmair. Gemeinsam mit ihrem Team wurde Barbara Hausmair von der Stadt Innsbruck beauftragt, archäologische Untersuchungen am Standort des ehemaligen Arbeitserziehungslagers zu unternehmen. Im Gespräch unterhalten wir uns in erster Linie über diesen Forschungsprozess und welche Erkenntnisse aus den Arbeiten gewonnen wurden. Zusätzlich machen wir uns auch Gedanken über weitere mögliche archäologische Grabungen in Tirol zur NS-Zeit.
Rückmeldungen, Wünsche oder Anregungen zu den einzelnen Folgen können Sie gerne per E-Mail an podcast@innsbruck.gv.at schicken.
Das Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck finden Sie im Web unter diesem Link.
Wollen Sie von zu Hause oder unterwegs eine Entdeckungsreise durch Innsbruck machen, dann sollten Sie unseren Bilder-Blog Innsbruck erinnert sich besuchen, wo täglich vier neue Beiträge veröffentlicht werden. Es lohnt sich!
Transkript anzeigen
00:00:00: Tobias: Hallo und herzlich willkommen zur dritten Folge unserer dritten Staffel von Archivwürdig,
00:00:05: dem Podcast des Innsbruck-Stadtarchivs.
00:00:08: In dieser Folge blicken wir auf das ehemalige Arbeitserziehungslager Reichenau, aus archäologischer Sicht.
00:00:14: Eingeladen habe ich zu diesem Thema die Archäologin Barbara Hausmair.
00:00:19: Gemeinsam mit ihrem Team wurde Barbara Hausmair von der Stadt Innsbruck beauftragt, archäologische Untersuchungen
00:00:25: am Standort des ehemaligen Lagers zu unternehmen.
00:00:29: Gemeinsam sprechen wir unter anderem über diesen Forschungsprozess.
00:00:33: Welche Erkenntnisse aus den Arbeiten gewonnen wurden und machen uns auch Gedanken
00:00:38: über weitere archäologische Grabungen in Tirol zur NS-Zeit.
00:00:56: Intro-Musik] Tobias: Liebe Barbara, danke für deine Zeit, dass du heute bei uns bist.
00:01:00: Archäologie verbindet man ja, wenn man jetzt mal in die Bevölkerung hinausgeht,
00:01:05: ja hauptsächlich mit, überspitzt gesagt, mit altem Zeug, also alles, was quasi antike Sachen betrifft.
00:01:10: Gerade in Innsbruck wahrscheinlich viele denken an die Ausgrabungen Veldidena, also von den römischen Überresten.
00:01:17: Kannst du uns vielleicht kurz, nur kurz erklären, seit wann man denn auch nicht einmal 100 Jahre zurück auch gräbt.
00:01:24: Barbara: Das ist eine sehr gute Frage. Tatsächlich ist die Archäologie der jüngeren Vergangenheit
00:01:28: auch eine sehr junge Archäologie als wissenschaftliches Fach.
00:01:31: In Österreich, circa 30 Jahre alt, wenn man sich das anschauen möchte.
00:01:35: Und ich glaube, es ist eine sehr späte Entwicklung innerhalb der archäologischen Forschung,
00:01:39: weil Archäologie eben, wie du sagst, ursprünglich sich ja vor allem mit älteren Epochen befasst hat.
00:01:43: Das ist kontinuierlich im Wandel, weil sich die Archäologie heutzutage eigentlich nicht mehr so sehr über
00:01:48: die Frage von Vergangenheit im Sinne von Distanz beschäftigt, sondern eigentlich über ihre Quellen definiert.
00:01:53: Also wir versuchen eigentlich einen Zugriff auf die Geschichte über materielle Hinterlassenschaften zu bekommen.
00:01:58: Und da ist es eigentlich unerheblich, aus welcher Zeit die sind.
00:02:01: Und das hat in den letzten Jahren oder Jahrzehnten eben auch zur Entwicklung einer Archäologie der jüngeren Vergangenheit geführt,
00:02:07: in der wir uns eben einen Zugriff auf diese jüngere Vergangenheit auch über die archäologischen Spuren ermöglichen.
00:02:12: Tobias: Ist es aus deiner Sicht einfacher, für jüngere Zeiten zu graben, als wie für die weiter zurückliegenden?
00:02:20: Barbara: Ja und nein. Also ich glaube auf der einen Seite, wenn man das jetzt eher mal methodisch sehen will,
00:02:24: ist es natürlich sehr spannend in den jüngeren Vergangenheiten zu forschen,
00:02:27: weil wir eine ganz dichte Parallelüberlieferung haben durch Schrift, Bild oder auch mündliche Quellen natürlich.
00:02:32: Und dadurch entsteht ein sehr viel dichteres Bild und macht auch die Interpretation von archäologischen Funden
00:02:38: sehr viel reicher zum Teil, als das etwa in der Urgeschichte manchmal möglich ist.
00:02:42: Auf der anderen Seite ist es aber auch eine sehr schwierige Archäologie,
00:02:45: weil diese Vergangenheit natürlich sehr nah an uns dran ist.
00:02:47: Es ist was, wo wir zum Teil noch Menschen haben, die die Zeiten, die wir erforschen miterlebt haben,
00:02:51: wo Familiengeschichten geprägt sind.
00:02:53: Und dementsprechend, das ist mir ganz wichtig, ist ja Archäologie jetzt nicht nur ein Blick in die Vergangenheit,
00:02:58: sondern es geht ja auch ganz viel darum, wie wir heute mit dieser Vergangenheit umgehen.
00:03:02: Und da ist natürlich die Archäologie auch der NS-Zeit
00:03:04: insofern sicher eine schwierigere Archäologie, weil wir auch irgendwo uns in diese Diskurse,
00:03:09: wie gehen wir mit dieser Vergangenheit um, mit einpflegen müssen.
00:03:13: Und das macht es natürlich eine große Herausforderung.
00:03:16: Tobias: Ich habe dich jetzt natürlich eingeladen, vielleicht habe ich es noch gar nicht erwähnt,
00:03:20: aber du warst auch beteiligt oder bist beauftragt worden, glaube ich, von der Kommission oder von der Stadt,
00:03:26: am Gebiet des ehemaligen Arbeitserziehungslagers Reichenau
00:03:32: Also nicht du allein natürlich, das ist schon klar, aber du mit deinem Team,
00:03:37: Grabungen zu machen, um Spuren über oder vom Lager noch ausfindig zu machen,
00:03:45: kannst du uns vielleicht auch kurz erklären, wie es denn zu diesem Auftrag kam
00:03:49: und wie der Ablauf war und vielleicht auch einfach auch wer beteiligt war.
00:03:56: Barbara: Die Stadt Innsbruck versucht ja seit einiger Zeit jetzt einen neuen Gedenkort in der Reichenau zu schaffen
00:04:01: für die Opfer des Nationalsozialismus, die dort im Arbeitserziehungslager eingesperrt waren,
00:04:06: aber auch in den angrenzenden Lagerkomplexen und im Vorfeld zu dieser Projektplanung hat man sich seitens der Stadt entschieden,
00:04:12: dass es sicher auch wesentlich ist, noch mal intensiv Forschung zur Geschichte dieser Lager,
00:04:17: aber eben auch der Menschen, die dort eingesperrt oder auch umgekommen sind, zu betreiben
00:04:23: und das hat einerseits dazu geführt, dass sehr intensive Forschungen von historischer Seite gegeben hat.
00:04:27: Ich glaube, die Sabine Pitscheider wird ja auch noch sprechen hier in diesem Podcast.
00:04:31: Und auf der anderen Seite hat sich dann im Rahmen dieser Forschung natürlich schon auch die Frage nach der genauen historischen Örtlichkeit gestellt.
00:04:38: Wie groß war tatsächlich dieser Lagerkomplex? Wie ist er aufgebaut gewesen?
00:04:42: Können wir eigentlich in der Raumstruktur auch noch irgendwie Informationen finden über die Geschichte dieser Lager dort in der Reichenau,
00:04:50: aber natürlich auch für die Schaffung des Gedenkortes, das war sicher auch im Interesse der Stadt, hat sich die Frage gestellt,
00:04:55: gibt es eigentlich noch wirklich materielle Überreste im Sinne von Baubestand,
00:04:59: die da heute vielleicht noch irgendwo versteckt im Gewerbegebiet herumstehen
00:05:04: und eigentlich mit diesem Anspruch sind sie an mich und meine Kollegin Barbara Pöll von
00:05:08: monumentGUT herangetreten mit der Bitte, ob wir da nicht von archäologischer Seite ein bisschen Abhilfe schaffen können.
00:05:14: Und das Ganze hat eigentlich so begonnen, dass wir zunächst, also jeder, der die Reichenau kennt,
00:05:18: weiß ja, dass sie heute ein sehr stark bebautes Gewerbegebiet ist, uns die Frage gestellt
00:05:23: und wie können wir zuerst mal eruieren, ist überhaupt noch obertägig was da
00:05:26: und wie können wir dann abschätzen, ob vielleicht zumindest archäologisch, also im Boden, im Bodenbefund,
00:05:31: noch was erhalten ist. Und das haben wir zunächst über eine Auswertung von historischen Plänen
00:05:36: und auch Schriftquellen und mündlicher Überlieferung gemacht, die zur Raumstruktur des Lagers Bezug haben,
00:05:42: aber vor allem auch über Luftbilder aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges,
00:05:46: die von den Alliierten damals eigentlich im Zuge ihres Luftangriffs oder ihrer Luftkriege erstellt worden sind
00:05:51: und haben versucht zunächst mal einfach die ganze Raumsituation und die Entwicklung der Lager,
00:05:55: zwischen 1940/41 bis 1945 und auch darüber hinaus dann natürlich bis zum Abriss der letzten Baracken in den 60er Jahren zu rekonstruieren.
00:06:05: Und auf Basis dieser Luftbildauswertung haben wir dann versucht zu schauen, stehen erstens noch irgendwo einzelne Gebäude,
00:06:10: das hat sich nicht herausgestellt, also heute ist wirklich kein obertägiger Bestand mehr vorhanden,
00:06:15: der irgendwie noch direkt mit dem Lager in Verbindung stehen würde.
00:06:19: Wir haben es aber auch geschafft, über den Vergleich von diesen historischen Luftbildern mit eben den modernen Luftbildern und Satellitenaufnahmen
00:06:26: Flächen zu identifizieren, die noch nicht tief bebaut sind, das heißt die nicht unterkellert sind
00:06:32: und wo potenziell die Möglichkeit besteht, dass eben im Boden noch archäologische Spuren vorhanden sind.
00:06:38: Tobias: Das heißt, ihr habt jetzt im Vorfeld die theoretische oder teils praktische Arbeit geleistet.
00:06:44: Wie ist es dann zu den Grabungen gekommen, ist es sehr schwierig bei so einem, wie du ja gesagt hast, stark verbauten und ja auch genutzten, ich mein
00:06:55: der Bauhof ist ja immer noch dort und auch natürlich im Betrieb und der einzige auf städtischem, also wo halt alle hin kommen.
00:07:04: Ist es..., erschwert es die Arbeit für Grabungen sehr oder ist es eh immer der Fall oder meistens der Fall?
00:07:15: Barbara: Natürlich ist es so, dass im städtischen Bereich, egal welche Archäologie man betreibt, das immer problematisch ist,
00:07:20: weil wir einfach eine sehr starke moderne Überprägung haben.
00:07:23: Im Fall jetzt von der Reichenau war uns schon von Anfang an klar, dass die Möglichkeit wirklich Archäologie im Boden zu betreiben,
00:07:29: sehr gering sein wird, einfach weil die Überbauung dort einerseits wirklich sehr massiv ist,
00:07:34: der Abriss sehr massiv war und natürlich, weil das Gebiet heute intensiv benutzt wird.
00:07:38: Alle Innsbruckerinnen und Innsbrucker kennen wahrscheinlich den Recyclinghof, sie wissen wie viel Verkehr da auch an den Wochenenden ist
00:07:43: und natürlich dann auch der städtische Bauhof.
00:07:45: Was wir aber versucht haben, eigentlich durch unsere Luftbildanalyse, das war zunächst mal abzuklären, ob überhaupt das Potenzial da ist.
00:07:52: Und als wir gesehen haben, dass es durchaus noch ganz, ganz kleine Restflächen im Südbereich,
00:07:56: des heutigen Bauhofes gibt, das eben in der NS- Zeit Teil des Lagerbereichs war, die noch nicht bebaut sind.
00:08:01: Das war für uns natürlich ein wichtiger Hinweis darauf, dass da durchaus noch eine Erhaltung im Boden gegeben ist,
00:08:06: aber eben auch auf den Verkehrsflächen eigentlich, die nicht unterkeller sind.
00:08:10: Und da war der nächste Schritt, dass wir zunächst eine geophysikalische Prospektion gemacht haben,
00:08:14: also eine nicht zerstörende Archäologie und versucht haben eigentlich über Messungen von physikalischen Eigenschaften im Boden herauszufinden,
00:08:22: ob man da vielleicht noch Linien oder Strukturen erkennen kann, die wir mit dem Lagerkomplex in Verbindung bringen können.
00:08:28: Tobias: Habt ihr diese geophysikalischen, oder kannst du die vielleicht noch mal ein kleines bisschen noch erklären,
00:08:33: ist das auch über die Archäologie oder nehmt ihr dann auch auf das, blöd gesagt, externes oder von der Universität
00:08:40: parallel Wissen von anderen Institutionen, die euch da unterstützend beiseite stehen, oder ist das schon sehr verankert in der Archäologie?
00:08:48: Barbara: Hier in Innsbruck haben wir wirklich sozusagen den Vorteil, dass wir wirklich an unserem Institut ja auch Expertise haben,
00:08:54: beim Professor Grabherr, der schon seit vielen Jahren auch Geophysik, also archäologische Prospektionsmethode,
00:09:00: betreibt und von seinem Team haben wir da die Unterstützung bekommen, mit David Imre, die Messungen vor Ort durchzuführen.
00:09:06: Ich will da jetzt gar nicht in die Physik rein gehen, aber vielleicht so, um das mal ein bisschen plakativ zu sagen,
00:09:10: man fährt da mit Messgeräten sozusagen über die Interessensflächen und dann wird eben durch die Messung der physikalischen Eigenschaften
00:09:16: eigentlich ein Tiefenbild vom Boden erzeugt. Es ist jetzt kein Röntgen, aber ich glaube laienhaft kann man sich vorstellen,
00:09:21: dass das so ein durchleuchten des Bodens ein bisschen ist. Und dann sieht man sozusagen die im Boden vorhandenen Strukturen,
00:09:27: das können Leitungsgräben sein, aber eben auch zum Beispiel Fundamentreste oder Ähnliches.
00:09:32: Und über dieses virtuelle Bild kriegt man einen ersten Eindruck, ob eben potentiell da eigentlich noch Strukturen verhanden sind,
00:09:38: die jetzt im konkreten Fall eben tatsächlich noch zum Beispiel mit dem Arbeitserziehungslager in Verbindung stehen.
00:09:43: Vielleicht ein Satz noch dazu, dass es sicher besonders herausfordernd war, auf diesen sehr stark verbauten Flächen
00:09:50: Geophysik zu machen. Das hat zu einerseits messtechnische Probleme, aber die große Herausforderung ist eigentlich auch,
00:09:56: dass ja die Bebauung, wie sie heute ist, in ihrer Ausrichtung, im Wesentlichen genau dieselbe Ausrichtung hat,
00:10:02: wie eben die Gebäude damals im Arbeitserziehungslager. Und das ist immer dann so eine Sache,
00:10:06: was ich auf den Luftbildern vielleicht dann als Linien erkenne, ist schwer, sozusagen nur vom virtuellen Bild dann wirklich festzustellen,
00:10:14: ist das jetzt das, was wirklich zum Lager gehört oder sind das nicht vielleicht auch ältere Leitungseinbauten, die auf keinen Plänen mehr vorhanden sind.
00:10:20: Da brauchen wir dann tatsächlich natürlich auch Expertise von anders woher, in dem Fall natürlich von der Stadt,
00:10:25: die uns hier versucht hat, möglichst gut mit Leitungsplänen zu unterstützen, damit wir schon mal vorab ein bisschen ausschließen können,
00:10:31: was sind da Strukturen, die wirklich zum Bauhof gehören und was sind potenziell wirklich Strukturen, die noch aus der NS-Zeit
00:10:38: da im Boden vorhanden sein könnten.
00:10:40: Tobias: Ist bei den geophysikalischen Daten dann auch eine Vermutung entstanden, dass da und dort punktuell wirklich noch Reste vorhanden sind,
00:10:49: oder ist man einfach, blöd gesagt, blind drauf losgegangen dann?
00:10:53: Barbara: Nein, blind sind wir nicht drauf losgegangen, deswegen [lacht] haben wir die für Geophysik gemacht.
00:10:57: Was wir gemacht haben ist, dass wir versucht haben zu schauen, welche Anomalien wir da auf den Messbildern sehen.
00:11:02: Und dann haben wir im Prinzip ein Ausschlussverfahren durchgeführt.
00:11:05: Wir haben einerseits geschaut, stimmen die eben mit modernen Leitungsplänen überein,
00:11:09: und dann kann man quasi schon eher ausschließen, dass das historische Strukturen sind.
00:11:13: Und im zweiten Schritt, also dort, wo wir gesehen haben, wir haben keine Informationen, dass das moderne Kanalbauten oder Ähnliches sind,
00:11:18: haben wir dann geschaut, ob die wiederum mit Infrastruktur, die wir auf den Luftbildern, auf den historischen, erkannt haben, übereinstimmen.
00:11:24: Und so war es dann schon möglich, gewisse Bereiche einzugrenzen, wo eben ein hohes Potenzial vorhanden ist.
00:11:30: Ich möchte aber trotzdem noch mal darauf hinweisen [lacht], weil das wichtig ist, dass natürlich auch hier eine Fehlerquelle vorhanden ist.
00:11:35: Wir haben in den Grabungen dann selbst ja tatsächlich den Fall gehabt, dass eine dieser linearen Strukturen, die wir im Messbild hatten,
00:11:41: sich als noch benutzte Wasserleitung herausgestellt hat, die aber einfach auf keinem Leitungsplan war,
00:11:46: die aber im Verlauf eigentlich gut gepasst hätte zu dem Bereich dieser Unterkunftsbaracke 1,
00:11:51: die wir dann versucht haben zu lokalisieren und zu identifizieren in der Archäologie.
00:11:56: Und das ist halt immer so die Herausforderung.
00:11:58: Also Geophysik ist ein ganz, ganz wesentliches Element oder eine ganz wesentliche Methode zur Vorerkundung.
00:12:04: Aber im Endeffekt wirklich wissen, was wir im Boden haben, können wir erst, wenn wir wirklich dann auch zu Graben beginnen.
00:12:13: Drehgeräusch] Tobias: Gehen wir den nächsten Schritt. Ihr geht jetzt wirklich zur Grabung über, wie viel Zeit ist da einberäumt worden,
00:12:23: wie schätzt man es ab, wie viel Zeit für Grabungen benutzt werden oder überhaupt bekommt,
00:12:30: also Zeit, wie viel man haben darf, überhaupt zu graben.
00:12:33: Ist ja wahrscheinlich nicht nur auch die eigene Schätzung, was da ja dann zählt.
00:12:37: Barbara: Es ist immer eine ganz böse Frage, wenn man Archäolog:innen fragt, wie viel Zeit sie gerne zum Graben hätten.
00:12:42: Wir ja ein sehr langsames Business [beide lachen].
00:12:44: Nein, wir haben in dem Fall versucht, also einerseits, weil natürlich klar war,
00:12:47: dass selbst wenn wir was finden, das wahrscheinlich wirklich nur mehr ein sehr stark fragmentierten Grad vorhanden sein wird
00:12:52: und eigentlich ja die primäre Frage war, sind überhaupt noch Substanziell Spuren vorhanden.
00:12:56: Also haben wir mit der Stadt vereinbart, dass wir eigentlich so eine Art kleinere Testgrabung machen.
00:13:01: Das ist auch auf dem Areal vom heutigen Bauhof im Grunde auf ganz, ganz wenigen Flächen nur mehr möglich,
00:13:06: weil er da großteil überbetoniert ist und wir haben uns dann entschieden,
00:13:08: dass wir eigentlich einen sehr kleinen Schnitt nennt man das, also sozusagen den Bereich,
00:13:12: den wir dann wirklich ausgraben, im Süden auf diesem letzten verbliebenen Grünstreifen,
00:13:17: da beim Gartenbauamt öffnen werden und haben dafür eine 2- bis 3-wöchige Grabung angesetzt.
00:13:23: Wirklich aber auch mit dem Ziel jetzt gar nicht im Endeffekt, je nachdem was rauskommt,
00:13:28: alles komplett auszugraben, sondern einfach mal den ersten Blick in den Boden zu kriegen.
00:13:31: Wir haben das natürlich auch mit dem Bundesdenkmalamt vorab abgeklärt,
00:13:34: die als Behörde dafür auch zuständig sind.
00:13:37: Und damit waren eigentlich sozusagen alle Beteiligten einverstanden,
00:13:40: dass das im Grunde jetzt so eine Art ja ein Erstversuch ist,
00:13:43: einfach mal um eine Abwägung überhaupt machen zu können, wie viel Substanz da wirklich noch vorhanden ist.
00:13:48: Tobias; Was war dann der erste Eindruck [lacht] sozusagen?
00:13:51: Barbara: Am Anfang mussten wir tatsächlich feststellen, dass die Überprägung vom Areal,
00:13:55: nämlich auch im Sinne von der Überlagerung durch Planierschichten,
00:13:58: sehr viel massiver ist, als wir das erhofft hatten.
00:14:01: Im Endeffekt mussten wir wirklich auf 1,70 m runter
00:14:04: um tatsächlich zu den nationalsozialistischen, also zur Zeit der NS-Schichten runterzukommen.
00:14:09: Das heißt, wir sehen aber auch, dass wirklich im Bereich des Bauhofs hier nicht nur abgerissen,
00:14:13: sondern auch massiv umstrukturiert und aufplaniert worden ist seit den 1960er Jahren,
00:14:17: vermutlich aber auch noch später, also 70er, 80er Jahre,
00:14:20: das sehen wir dann am Fundmaterial in den Planierschichten.
00:14:23: Und wir sind dann auf diese Tiefe zum Teil durch händisches Abgraben,
00:14:27: zum Teil aber auch durch einen Minibagger runtergegangen,
00:14:30: und sind aber dann tatsächlich in 1,70 Meter Tiefe,
00:14:33: dann auch wirklich die letzten Reste dieser Unterkunftsbaracke 1 gestoßen.
00:14:37: Tobias: Weil du ja schon die Funde angesprochen hast kurz, was waren denn da,
00:14:42: oder nur so vielleicht beispielhaft, was da so alles an Material zusätzlich,
00:14:48: also neben diesen Fundamentresten oder den Resten noch, ans Tageslicht gekommen ist?
00:14:53: Barbara: Der Großteil der Funde, das muss man ganz ehrlich sagen,
00:14:56: ist im Grunde eigentlich Müll aus der Zeit, seitdem der Bauhof errichtet worden ist,
00:14:59: dass es das, was wir so in den Planierschichten finden.
00:15:02: Wir haben aber bei den letzten sozusagen Zentimetern,
00:15:05: bevor dann auch diese Barackenreste in Form von Pfahlrostfundamenten,
00:15:08: Betonfundamenten rausgekommen sind, verhältnismäßig sehr wenig,
00:15:12: aber doch Funde getätigt, die aber wahrscheinlich eher aus der Zeit der Notwohnsiedlung,
00:15:16: die ja bis in die 60er Jahre dann da noch bestanden hat in diesen Baracken zugeordnet werden können.
00:15:21: Und da geht es zum Teil um Alltagsgeschirr und Blumentöpfe, aber vor allem auch um
00:15:26: einfaches Verpackungsmaterial, was wirklich aus der Zeit der 50er und 60er Jahre stammt.
00:15:30: Das war eigentlich eher aus dem Alltag der Menschen, die dort dann eben in der Nachkriegszeit
00:15:35: quasi ja hingesiedelt worden sind aufgrund von Wohnungsnot und dann bis in die 60er Jahre
00:15:41: dort gelebt haben.
00:15:42: Aus der Zeit des Lagers selbst haben wir tatsächlich fast nur eigentlich die wenigen Befunde der
00:15:48: Baustrukturen, die erhalten sind, was aber auch wenig überraschend ist, wenn man sich
00:15:52: eben überlegt, dass das AEL [Arbeitserziehungslager] selbst ja im Grunde wenige Jahre bestanden hat, also eigentlich
00:15:57: nur gut vier Jahre und dann ja wirklich mehrere Jahre, also fast 20 Jahre lang ja noch durch
00:16:04: eben diese Nutzung als Notwohnsiedlung eigentlich eine ganz andere Funktion gegeben, war es
00:16:08: ursprünglich dieser Inhaftierungskontext.
00:16:10: Tobias: Und vor allem die Baracken, die waren ja nicht hochwertig gebaut.
00:16:15: Barbara: Ja, also was da unten errichtet worden ist, das wissen wir tatsächlich aus den Bauunterlagen
00:16:20: vorab, sind sogenannte RAD-Baracken gewesen, also Baracken, die ursprünglich für den
00:16:24: Reichsarbeitsdienst entworfen worden sind, die aber dann im Laufe der NS-Zeit wirklich
00:16:29: in großem Stil vor allem in unterschiedlichsten Zwangslagern des Regimes eingesetzt worden
00:16:34: sind, in Konzentrationslagern, in Zwangsarbeitslagern, aber eben auch im Arbeitserziehungslager
00:16:39: in der Reichenau.
00:16:40: Das sind im Grunde Behelfsbauten, die vor allem aus Holz errichtet werden und dann aber
00:16:46: so je nachdem, wie lang man eigentlich diese Barracken dann nutzen möchte einen unterschiedlichen
00:16:50: Unterbau haben können.
00:16:51: Also der kann betoniert sein, der kann durch Streifenfundamente gelegt sein oder wie wir
00:16:56: es jetzt den Reichenau archäologisch nachweisen könnten, durch eigentlich eine
00:17:00: sehr simple Pfahlrostgründung errichtet sein.
00:17:02: Und ich glaube das Wesentliche dran ist, dass man sich einfach vor Augen führt, dass das
00:17:07: zwar jetzt natürlich aus archäologischer Sicht nicht die ergiebigste Grabung ist, die wir
00:17:11: an Orten von NS-Verbrechen durchführen, eben durch diesen Überbauungsgrad.
00:17:17: Aber ich glaube wir lernen dadurch ja auch ganz viel über die Nachnutzung dieser Bereiche
00:17:20: und wie schnell eigentlich solche Verbrechensorte auch aus dem öffentlichen Gedächtnis durch
00:17:24: Nachnutzung, aber dann eben auch durch so radikalen Abriss, wie das in den 60er Jahren
00:17:28: passiert ist, auch verschwinden können.
00:17:30: Drehgeräusch] Tobias: Gehen wir mal vielleicht auch kurz weg vom Arbeitserziehungslager Reichenau.
00:17:39: Du hast schon gesprochen, es wäre ja schön, wenn mehr Grabungen wären, auch mehr archäologische
00:17:48: Grabungen zu Bauten aus der NS-Zeit oder auch Lager aus der NS-Zeit, wo wäre es aus deiner
00:17:54: Sicht noch sinnvoll oder gäbe es noch weitere sinnvolle Orte, wo es auch, wie gesagt, auch
00:18:00: gut wäre, archäologisch zu graben oder zumindest einmal auch sei es Erhebungen zu machen, geophysikalische
00:18:10: Begehungen zu machen, fällt dir da da spontan was ein?
00:18:14: Barbara: Ja, also wenn wir jetzt konkret Tirol natürlich anschauen, also mittlerweile haben wir einen
00:18:17: recht guten Überblick, wo zumindest Lagerstandorte waren, weil sie in den letzten Jahren auch
00:18:21: seitens Bundesdenkmalamtes ganz umfangreiche Erhebungen zu Standorten gegeben hat und
00:18:27: nicht nur aus dieser Erhebung, sondern zum Teil, weil die Barackenfundamente auch noch
00:18:30: obertägig sichtbar sind, wissen wir von vielen Lagerstandorten, wo wir noch keine so massive
00:18:34: Überbauung haben.
00:18:35: Das ist zum Beispiel in Haiming der Fall oder auch in Bereichen bei Schwaz und Kematen,
00:18:40: wo ja auch Zwangslager vor allem für die Kriegsindustrie errichtet worden sind.
00:18:44: Ich denke aber auch zum Beispiel an Vorarlberg entlang der Illwerke-Trasse im Montafon,
00:18:48: das ist schon einige Jahre zurück, das bedeutet auch "gesurveyed" [untersucht] haben, wo wir einfach Bereiche
00:18:52: haben, wo eigentlich im Nachgang nicht mehr bebaut worden ist und wo dann zum Teil die
00:18:56: Struktur nach oberflächlich noch erkennbar sind, eben durch Fundamente, die da durch die
00:19:00: Grasnarbe zum Teil oder durch den Waldboden durchscheinen.
00:19:03: Und das sind natürlich alles Bereiche, wo wir potenziell mit einer besseren archäologischen
00:19:08: Erhaltung rechnen können, weil einfach die Überprägung nicht so hoch ist.
00:19:11: Ich glaube aber tatsächlich, dass wir es nicht nur aufgrund dieser Überbauung einschränken
00:19:15: sollten.
00:19:16: Ich glaube, Archäologie hat ja immer zwei Funktionen.
00:19:18: Das eine ist wirklich aus der wissenschaftlichen Perspektive, dass wir natürlich versuchen
00:19:22: wollen, möglichst viel über einen historischen Ort und was dort passiert ist, rauszufinden.
00:19:26: Da ist natürlich die umfangreiche Erhaltung immer ein Vorteil.
00:19:29: Aber Archäologie ist eigentlich auch, würde ich sagen, eher so eine Art Interventionsmodus
00:19:34: oder eine Möglichkeit, sich einfach immer wieder neu mit der Vergangenheit und auch
00:19:38: ihrer Bedeutung für die Gegenwart zu beschäftigen.
00:19:40: Und dementsprechend glaube ich, dass es bei den vielen Lagern, die es in ganz Österreich
00:19:44: gegeben hat in dieser Zeit immer auch eine Möglichkeit gibt, Archäologie her als sozusagen
00:19:49: eine Praxis einzusetzen, um auch vor Ort dann mit unterschiedlichen Interessensgruppen
00:19:55: sich neu mit diesen Orten zu beschäftigen.
00:19:57: Was dann rauskommt, im Endeffekt, manches können wir ganz gut vorabschätzen, manches
00:20:00: vielleicht weniger, braucht natürlich nachher auch eine wissenschaftliche Aufarbeitung.
00:20:04: Aber ich glaube so als Modus der Interaktion ist Archäologie auch immer eine gute Möglichkeit,
00:20:09: um einfach zu einer Vergegenwärtigung dieser Situationen an der Vergangenheit beizutragen
00:20:13: und damit auch eine neue Auseinandersetzung zu motivieren und zu fördern.
00:20:17: Und das sehen wir bei ganz vielen Projekten eigentlich.
00:20:19: Das ist eigentlich auch, möchte ich sagen, der Ursprung der Archäologie, der jüngeren
00:20:25: Vergangenheit, das eigentlich in den 1980er Jahren, als das zum Beispiel in Deutschland
00:20:28: begonnen hat, das zunächst ja oft wirklich "Grassroots-Initiatives" würden wir heute sagen.
00:20:34: Also eigentlich Menschen aus lokalem Umfeld begonnen haben sich auf Spurensuche zu
00:20:38: begeben, um sich eben mit der NS-Geschichte vor Ort direkt zu konfrontieren.
00:20:42: Drehgeräusch] Tobias: Eure Ergebnisse, jetzt springe ich wieder zum Arbeitslager Reichenau zurück, die Ergebnisse
00:20:53: von den Ergrabungsarbeiten, eure Erkenntnisse, werden die oder sind die auch für die breite
00:21:02: Öffentlichkeit zugänglich, gibt es da, sind die veröffentlicht worden, außer natürlich,
00:21:08: ich weiß, es gibt Zeitungsartikel, ich glaube in den regionalen Blättern, aber auch in
00:21:13: der TT, wahrscheinlich eh noch online einsehbar, aber gibt es auch einen, ich sage jetzt einmal,
00:21:17: umfangreicheren Bericht, der was dann erscheinen wird?
00:21:20: Barbara: Das ist sozusagen jetzt gerade in der Mache, auch oder schon fast im Druck, es wird einerseits
00:21:25: natürlich Publikationen geben, wo wir die Ergebnisse auch in der Tiefe präsentieren
00:21:30: werden, auf der einen Seite einem wissenschaftlichen Publikum, aber auch für eine breitere Öffentlichkeit.
00:21:34: Wir haben hier zum Beispiel in Innsbruck auch zusammengearbeitet mit AFIN, dem
00:21:40: archäologischen Forschungsnetzwerk Innsbruck, nehmen wir dort auch, das ist eher ein breiten
00:21:44: wirksamer Newsletter, den die haben dort auch schon kürzere Berichte publiziert haben.
00:21:48: Ich denke aber, dass vor allem, wenn die Neukonzeption der Gedenkstätte dann wirklich in die Umsetzung
00:21:54: geht, das wird ja auch dann didaktische Materialien auch für sozusagen Programme für Schülerinnen
00:21:59: und Schüler oder auch andere interessierte Bevölkerungsgruppen geben, dass wir da natürlich
00:22:04: auch die Ergebnisse der archäologischen Forschung gern mit einfließen lassen und das natürlich
00:22:09: auch zur Verfügung stellen.
00:22:11: Und ich glaube, dass hier vor allem auch die Luftbildanalyse einen ganz wesentlichen
00:22:15: Teil spielt, weil das einfach so eine Möglichkeit gibt, nochmal diese räumlichen Dimensionen,
00:22:19: die ja heute wirklich schwer nachvollziehbar sind wegen des Überbauungsgrades, nochmal
00:22:24: besser zu visualisieren und den Menschen da auch einen sozusagen wirklich einen räumlichen
00:22:29: Zugang auch zu schaffen zu diesen Orten und zu diesen Lagerbereichen.
00:22:33: Tobias: Gibt es noch was, was wir zum.. über eure Arbeiten im Arbeitserziehungslager Reichenau erwähnen
00:22:41: sollten, was wir jetzt in unserem Gespräch noch vergessen haben?
00:22:44: Barbara: Also ich glaube, was man vielleicht so ein bisschen nochmal aufsplitten kann, wenn man sich jetzt
00:22:48: diese unterschiedlichen Schritte der archäologischen Forschung ansieht, ist, dass wir je nachdem,
00:22:53: mit welchen Methoden wir rangehen oder auch ob wir uns das sozusagen aus der Vogelperspektive
00:22:57: ansehen oder wirklich in den Boden gehen, einfach sehr unterschiedliche Maßstäbe im
00:23:01: Grunde anwenden, im Blick und natürlich auch unterschiedliche Informationen rauskriegen.
00:23:05: Was für mich wirklich ein spannender Aspekt ist und das ist jetzt nicht speziell für
00:23:10: die Reichenau überraschend, aber das ist das, was wir bei vielen anderen Projekten auch
00:23:13: sehen, ist natürlich, dass wir durch diesen Blick aus oder aus diesem Luftblick heraus
00:23:18: eigentlich ganz viel über die räumliche Entwicklung und die Planungssystematik während
00:23:23: der NS-Zeit rauslesen können.
00:23:25: Es gibt ja einerseits sozusagen, dass was man vorhat, was man plant, was man veranschlagt
00:23:28: und das, was man tatsächlich dann umsetzt.
00:23:30: Und das ist etwas, was wir eben durch verschiedene Luftbilder eigentlich ganz gut aufsplitten
00:23:34: können.
00:23:35: Einerseits, wie sich diese Bereiche tatsächlich räumlich strukturieren und aufteilen.
00:23:39: Was zum Beispiel da wirklich eine ganz spannende Sache auch war zu sehen ist, dass wir, also
00:23:44: wir haben ja in der Reichenau einerseits das Arbeitserziehungslager und nördlich davon
00:23:47: zum Inn hin bestand ja eigentlich ein, ich sage immer, das ist ein Multifunktionskomplex,
00:23:53: also ein Lager, das betrieben worden ist von der Stadt Innsbruck, von der Reichspost
00:23:56: und von der Reichsbahn, wo Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene inhaftiert waren, die
00:24:00: dann auch ausgebeutet worden sind in Innsbruck.
00:24:02: Und da können wir eigentlich über die Luftbilder ganz gut nachvollziehen, wie sich diese einerseits
00:24:07: administrative Verwaltungsstruktur, aber auch diese unterschiedlichen Gruppen
00:24:11: an inhaftierten in der Raumplanung wiederfinden.
00:24:14: Indem da immer wieder zusätzliche Gebäude gekommen sind, aber sich auch immer wieder
00:24:18: die Zaunabgrenzungen innerhalb des Lagers zur Trennung dieser Gruppen und Bereiche eigentlich
00:24:22: widerspiegeln.
00:24:23: Und das ist ein ganz wesentlicher Aspekt auch um zu verstehen, wie setzt man eigentlich
00:24:29: diese Diskriminierung unterschiedlicher Gruppen, aber auch administrative Verwaltung dann
00:24:33: in der Realität um.
00:24:34: Und das funktioniert ganz stark zum Beispiel auch über Strukturierung von Raum.
00:24:38: Spannenderweise sehen wir diese Dynamik, die wir in diesem nördlichen Lager eigentlich
00:24:42: sind nicht im Arbeitserziehungslager.
00:24:44: Da können wir eigentlich sagen, dass ziemlich von Anfang an der gesamte Komplex als Gebäudebestand
00:24:49: errichtet worden ist, eigentlich auch, wie er zumindest ursprünglich geplant war und
00:24:54: sich dann relativ wenig an der internen Strukturierung eigentlich ändert.
00:24:57: Und das spricht natürlich aber auch so für eine gewisse Kontinuität des Zwecks dieses
00:25:01: Lagers, das er wirklich von der Gestapo verwaltet, einen hohen Disziplinierungsgrad von Anfang
00:25:07: an hatte.
00:25:08: Und auf der anderen Seite können wir aber auch eben in Schnittstelle mit anderen historischen
00:25:13: Quellen wie eben mündlicher Überlieferung durch eben die Luftbilder auch nochmal versuchen,
00:25:17: bestimmte Ereignisse, die zum Beispiel Überlebende berichten konkreter zu verorten.
00:25:22: Tobias: Weil du es jetzt eben gerade angesprochen hast, das, was ich jetzt ganz vergessen habe,
00:25:26: natürlich gibt es für die Zeit natürlich mündliche Quellen, mündliche Überlieferungen, Zeitzeugen,
00:25:32: etc.
00:25:33: Wie, weil es gibt ja immer den Spruch, der Zeitzeuge ist der größte Feind des Historikers,
00:25:40: ist es natürlich jetzt auch wiederum sehr überspitzt gesagt.
00:25:44: Aber wie nimmt man das zu Herzen?
00:25:49: Nimmt man das dazu?
00:25:51: Muss man aber natürlich kritisch prüfen?
00:25:53: Barbara: Also ich glaube, man kann das nicht pauschal beantworten, was hier wirklich wichtig ist,
00:25:57: dass wir zunächst mal an diese verschiedenen Überlieferungsstränge einfach als Quellen
00:26:01: herangehen, die alle ihre Berechtigung haben, die alle ihre Kritik brauchen natürlich.
00:26:05: Und dass wir dann immer konkret, je nachdem was wir erforschen, auch wirklich versuchen,
00:26:09: diese verschiedenen Überlieferungsstränge miteinander zu vergleichen und rauszufinden,
00:26:12: wo bestätigen sie sich.
00:26:13: Wo sind vielleicht Blindspots in einer Überlieferung, die wir durch die andere fühlen können
00:26:17: und wo widersprechen sie sich.
00:26:19: Ich würde behaupten, dass das nicht nur herausfordernd ist mit Zeitzeug:innen Aussagen,
00:26:23: weil natürlich Zeitzeug:innen Aussagen, glaube ich, lange in der Geschichtswissenschaft
00:26:27: so ein bisschen verschrien, weil man sagt, ja, das ist Erinnerung und das ist natürlich
00:26:30: überprägt.
00:26:31: Das stimmt natürlich.
00:26:32: Auf der anderen Seite ist das natürlich eine ganz zentrale Quelle, weil es im Grunde
00:26:35: Erfahrungswerte und auch wie die verarbeitet werden, widerspielen.
00:26:38: Man darf die aber nicht verwechseln natürlich mit einer Dokumentation oder einem Faktenbericht.
00:26:43: Was aber auch nicht heißt, dass in Zeitzeug:innen Berichten keine Informationen enthalten
00:26:47: sind, die einfach auch eine historische Realität abbilden.
00:26:50: Man muss das einfach in der Aufarbeitung, glaube ich, mitberücksichtigen und dafür
00:26:55: ist es natürlich ganz notwendig jetzt auch aus archäologischer Seite, dass wir eng
00:26:58: mit Historikerinnen und Historikern zusammenarbeiten, die uns da auch helfen, die notwendige Kritik
00:27:02: anzuwenden.
00:27:03: Das hat in dem Projekt wirklich fantastisch funktioniert.
00:27:06: Ähnliches aber auch mit den Schriftquellen.
00:27:09: Ich weiß, es gibt immer so einen Tendenz dafür anzunehmen, sobald wir administratives
00:27:13: Schriftgut haben, das als Faktencheck herzunehmen.
00:27:16: Und das mag manchmal gerechtfertigt sein, aber auch hier müssen wir uns immer vor Augen halten,
00:27:21: auch Schriftgut ist ja was, was entsteht, produziert wird durch bestimmte Gruppen in der Bevölkerung,
00:27:26: mit Intentionen.
00:27:28: Manche Sachen werden gut dokumentiert, manche werden weggelassen, manche werden vielleicht
00:27:31: sogar verfälscht.
00:27:32: Also auch hier ist Quellenkritik wichtig.
00:27:33: Und was wir in der Archäologie gerade bei Lagerbauten sehr oft sehen, ist, dass es,
00:27:38: es gibt eine Planungsphase und das, was man sich vorstellt sozusagen und dann gibt es
00:27:41: eine Dynamik in der Umsetzung, die auch mit dem Kriegsgeschehen sich verändert zum Teil,
00:27:46: wo wir sehen, dass sich dann in den Bauten und auch in der Nutzung, die wir durch die
00:27:49: Archäologie nachvollziehen können, Änderungen ergeben, die wir so in den Schriftquellen
00:27:53: nicht finden.
00:27:54: Da gibt es auch ein Beispiel aus dem Arbeitserziehungslager.
00:27:56: Ein ganz wesentliches Element eigentlich, was in der Planung lange Zeit offenbar eine
00:28:00: Rolle gespielt hat für das AEL war ja, dass geplant war, irgendwo eine Gefangenen Baracke für politische
00:28:06: Häftlinge zu errichten, die ja ursprünglich nicht als Inhaftierungsgruppe eigentlich der
00:28:09: Fokus waren.
00:28:10: Dazu gibt es Planungsunterlagen, die auch sehr weit gediehen sind, auch eine umfangreiche
00:28:14: Korrespondenz bis dahin, dass man sogar sieht, wo die aufgestellt werden soll und wir können
00:28:19: über die Luftbilder in dem Fall dann aber tatsächlich rekurrieren und sagen, das ist
00:28:22: nicht umgesetzt worden.
00:28:23: Was auch immer, ein Paper-Trail gibt es vielleicht, aber er ist noch nicht lokalisiert in den
00:28:27: Archiven.
00:28:28: Wir können auf jeden Fall sagen, was sozusagen wirklich Ist-Bestand wird.
00:28:31: Das sind jetzt Kleinigkeiten, wo es wirklich nur so um historisch eigentlich kleine Spezifitäten
00:28:35: geht, aber das kann sich natürlich auch auswachsen.
00:28:38: Wir haben Beispiele aus archäologischer Forschung in Deutschland zum Beispiel, aus Zwangsarbeitslagern,
00:28:42: in Brandenburg gibt es da ganz viele Projekte, wo wir über die Archäologie zum Beispiel
00:28:47: ganz tiefen Einblick wirklich auch in Lebensbedingungen unterschiedlicher Häftlingsgruppen bekommen,
00:28:51: den wir im Paper-Trail überhaupt nicht finden.
00:28:53: Kleinmachnow ist so ein Beispiel, das war auch ein Lager, wo auf der einen Seite wirklich
00:28:58: Angestellte der dort tätigen Firmen untergebracht waren, aber auch Zwangsarbeitende, also Zivilzwangsarbeitende,
00:29:03: Kriegsgefangene bis hin zu KZ-Häftlingen.
00:29:06: Und wir sehen, dass offenbar die Firmen, die diese Lager betrieben haben, dann ganz
00:29:10: systematisch, je nachdem welche Kategorie an Menschen sie dort eingesperrt haben,
00:29:14: am Baumaterial oder auch an der Infrastruktur gespart haben.
00:29:18: Also da gibt es für die sozusagen die frei arbeitende Bevölkerung, gibt es gut geheizte
00:29:22: Baracken mit Waschanlagen und Sanitäreinrichtungen.
00:29:24: Für die zivilen Zwangsarbeitenden wird das dann schon down-gegraded, wo es eigentlich nur so
00:29:29: kleinere Ofenanlagen gibt und keine fix installierten Sanitäranlagen in den Baracken bis dann hin tatsächlich
00:29:35: zu den Baracken für sowjetische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, die nicht mal mehr eine
00:29:40: Heizung eigentlich haben.
00:29:41: Und das ist, was ich meine, mit der Archäologie sehen wir eigentlich so auf einem menschlichen
00:29:46: Level ganz oft
00:29:47: was heißt es eigentlich, in bestimmten Bedingungen dann dort inhaftiert zu werden und dort drinnen
00:29:51: Leben zu müssen?
00:29:52: Das ist einerseits die Ideologie, die Verfolgung und die Kategorisierung, die institutionell
00:29:57: stattfindet durch Gewalt an den Menschen, aber dann auch in der Umsetzung natürlich
00:30:01: der jeweiligen Lebenssituation.
00:30:03: Und das ist der Zugriff, den wir vor allem über die Archäologie haben, in dem wir wirklich
00:30:06: auf diese materielle Komponente schauen können. [Outro-Musik]
00:30:08: Tobias: Archivwürdig ist eine Produktion des Stadtarchiv Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem
00:30:31: Audio-Kanal der Stadt Innsbruck.
Neuer Kommentar